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Jetzt anmeldenPhysiotherapie zielt darauf ab, die Bewegungs- und Funktionsfähigkeit des Körpers zu verbessern, wiederherzustellen oder zu erhalten. Insbesondere nach Verletzungen und Operationen ist sie eine hilfreiche medizinische Behandlungsform auf dem Weg zur Genesung. Untersuchungen bei Patient*innen mit chronischen Kreuzschmerzen zeigten, dass nur 30 Prozent die Physiotherapie-Übungen, die ihnen verschrieben wurden, zu Hause durchführten. Eine weitere Studie kam zu dem Ergebnis, dass digitale Anwendungen diese Quote auf 50 Prozent anheben können.
Darauf zielt auch die App des Zukunftslabors Gesundheit: Sie soll Patient*innen dabei unterstützen, die ihnen verschriebenen Übungen zu Hause selbstständig durchzuführen – und zwar effizient und zielführend. Durch personalisierte Anleitungen und die Möglichkeit, die Ergebnisse mit den Physiotherapeut*innen zu teilen, wird der Genesungsprozess im Kontakt mit den Fachkräften gefördert, ohne dass jedes Mal eine Praxis aufgesucht werden muss. So können digitale Anwendungen dabei helfen, die Arbeit der Physiotherapeut*innen effizienter zu gestalten.
In den vergangenen Forschungsjahren hatten die Wissenschaftler*innen das Konzept für die App entwickelt: Sie wird auf einem Kameracomputer installiert, der die ausgeführten Übungen erfasst. Die anschauliche Benutzeroberfläche zeigt den Patient*innen die auszuführenden Übungen, während ein Algorithmus die Korrektheit der Ausführung prüft und in Echtzeit Rückmeldung gibt. Der Vergleich mit Daten eines allgemein als zuverlässig und korrekt anerkannten Sensorsystems zeigte, dass die Erfassung der frontal ausgeführten Übungen noch nicht fehlerfrei erfolgt. Die Datengrundlage für diesen Vergleich kam zustande, indem eine Person die Übungen 240 Mal durchführte, wobei der Abstand zur Kamera konstant blieb und sowohl die Kamera als auch das zuverlässige Sensorsystem die Bewegungen aufzeichneten. Im Forschungsjahr 2024 intensivierten die Wissenschaftler*innen den Vergleich, indem vier Personen die Übungen insgesamt 5.000 Mal durchführten und die Abstände zur Kamera in Fünf-Zentimeter-Schritten zwischen 1,40 Meter und 2,70 Meter variierten. Dadurch entstand eine deutlich größere Datenmenge, anhand derer die Probleme der frontalen Bewegungserfassung konkretisiert werden konnten.
Darüber hinaus begannen die Wissenschaftler*innen mit dem Training neuronaler Netze. Neuronale Netze sind eine spezifische Klasse von Algorithmen innerhalb des Maschinellen Lernens. Sie sind besonders effizient darin, Bilddaten zu verarbeiten, Muster zu erkennen und sich anzupassen, um immer präzisere Ergebnisse zu liefern. Im Zusammenhang mit der Physiotherapie-App sollen die neuronalen Netze erkennen, welche Bewegungen nicht richtig erfasst wurden und die Daten des anerkannten Sensorsystems (sog. Ground-Truth-Daten) als Basis für die App nutzen.
Die Aufnahme und Verarbeitung der Testdaten war sehr zeitintensiv. Der Aufwand lohnt sich aber, weil die Physiotherapie-App nicht nur auf eine Person oder eine bestimmte Entfernung zur Kamera beschränkt sein darf. Die zuverlässige und genaue Erkennung der App ist das Wichtigste. Sie kann noch so interessant gestaltet werden: Wenn die ausgeführten Übungen nicht richtig erkannt werden, dann würde sie keine Akzeptanz finden. Deshalb stand die Optimierung der Erfassung der frontal ausgeführten Übungen an erster Stelle.
Darüber hinaus passten die Wissenschaftler*innen die Visualisierung der App an. Zuvor hatte ein weißes Skelett die aktuelle Körperhaltung der Patient*innen dargestellt. Nun zeigt ein zweites, blaues Skelett die nachfolgende Position an. Dadurch können sich die Patient*innen schon auf die kommende Position einstellen.
Des Weiteren testeten die Wissenschaftler*innen eine neue Generation von Kameras, um festzustellen, ob sie frontal ausgeführte Übungen besser erfassen können. Die Ergebnisse zeigten keine Verbesserung, während durch den Einsatz neuronaler Netze die Qualität bei der Analyse der frontal ausgeführten Übungen deutlich verbessert werden konnte. Weitere Tests und Trainingsphasen sind geplant, um diese ersten Ergebnisse zu bestätigen.
Studie zu digitalen Kompetenzen von Pflegefachkräften
Digitale Innovationen wie die Physiotherapie-App stellen Fachkräfte in der Pflege und allgemein in der medizinischen Versorgung vor neue Herausforderungen. Sie müssen sich in einem zunehmend digitalisierten Arbeitsumfeld sicher zurechtfinden und digitale Technologien sinnstiftend in ihren Arbeitsalltag integrieren. Schon vor knapp zehn Jahren wurde in einer internationalen Studie untersucht, welche Kompetenzen Pflegekräfte benötigen, um im digitalen Arbeitsumfeld erfolgreich zu arbeiten. Diese Erkenntnisse sind inzwischen nicht mehr aktuell, da neue Entwicklungen wie die Künstliche Intelligenz (KI) in der Pflege an Bedeutung gewonnen haben.
Daher überprüften die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Gesundheit die damaligen Ergebnisse im Rahmen einer aktuellen Literaturrecherche. Aus dieser ging hervor, dass Pflegekräfte über 40 Kompetenzen benötigen, um ihren digitalen Arbeitsalltag zu gestalten. Zu diesen Kompetenzen gehören sowohl fachliche Fähigkeiten wie die Datenerfassung als auch Soft Skills, etwa Problemlösungsfähigkeiten und Fähigkeiten im Projektmanagement.
Auf Basis dieser Erkenntnisse entwickelten die Wissenschaftler*innen einen Fragebogen, den sie über Partnerhochschulen und –netzwerke verteilten. Die Teilnehmer*innen werden gebeten, die Relevanz der 40 Kompetenzen für die Pflegearbeit zu bewerten und anzugeben, welche Kompetenzen für spezifische Pflegerollen wie die Pflege am Bett oder die interprofessionelle Koordination (z. B. bei der Verlegung von Patient*innen aus dem Krankenhaus in die Reha) erforderlich sind.
Ein weiteres Ergebnis der Recherche ist, dass es in der Pflege derzeit nur wenige Weiterbildungsangebote zum Thema Digitalisierung gibt. Die Umfrageergebnisse könnten daher wertvolle Hinweise für die Entwicklung von Curricula und Lerninhalten an Hochschulen und Pflegeschulen liefern, um die Ausbildung in diesem Bereich gezielt zu erweitern.
Durchführung und Evaluation der Online-Kurse
Dem beschriebenen Mangel an Weiterbildungsangeboten wirken die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Gesundheit aktiv entgegen. In den vergangenen Forschungsjahren haben sie insgesamt fünf Online-Kurse erstellt, mit denen sie gezielt digitale Kompetenzen an verschiedene Zielgruppen vermitteln. Inhaltlich geht es um Sensortechnik im Gesundheitswesen, um die Nutzung medizinischer Daten für eine bessere Gesundheitsversorgung und Forschung sowie um statistische Modelle in einem lernenden Gesundheitssystem.
Im Forschungsjahr 2023 hatten die Wissenschaftler*innen den Online-Kurs „Gamechanger Assistierende Gesundheitstechnologien“ erstmalig mit 78 Studierenden durchgeführt. Der Kurs bietet den Teilnehmer*innen eine Einführung in die Datenanalyse und das Gesundheitsmonitoring. Sie erhalten Einblicke in Assistierende Gesundheitssysteme und deren Einsatzmöglichkeiten, einschließlich der Verwendung von Sensoren und der Verarbeitung der gesammelten Sensordaten. Das Feedback der Teilnehmer*innen werteten die Wissenschaftler*innen 2024 aus. Die Gesamtbewertungen lauteten überwiegend gut bis sehr gut. Insbesondere die Etivities fanden viel Zuspruch. Etivities sind – nach einem Konzept von Gilly Salmon – Online-Lernaktivitäten, die gezielt darauf ausgerichtet sind, Lernende in einer virtuellen Lernumgebung zu engagieren, dass sie interagieren und zusammenarbeiten. Im Online-Kurs waren solche Aktivitäten z. B. Programmieraufgaben zur Signalauswertung: Die Teilnehmer*innen sollten sich eine Erschütterungssensor-App herunterladen und damit verschiedene Aktivitäten wie Gehen oder Treppensteigen aufzeichnen. So lernten sie, wie die aufgezeichneten Sensordaten aussehen. Darüber hinaus ging aus der Evaluation des Kurses hervor, dass der wöchentliche Arbeitsaufwand zu stark variierte. Die Teilnehmer*innen wünschten sich hier mehr Konstanz und zusätzliche Beratungszeit, um Fragen und Ergebnisse intensiver besprechen zu können. Die Wissenschaftler*innen griffen diese Rückmeldung auf und passten die Kursinhalte sowie die Beratungszeit an. Im Wintersemester 2024/2025 wird der Kurs erneut durchgeführt, dieses Mal mit 68 Teilnehmer*innen.
Der neuste Kurs des Zukunftslabors Gesundheit thematisiert den Interoperabilitätsstandard openEHR (open Electronic Health Record). Dieser internationale Standard ermöglicht die Verwaltung, die Speicherung, den Abruf und den Austausch von Gesundheitsdaten in elektronischen Patient*innenakten. Ziel des Online-Kurses ist es, Studierenden oder neuen Mitarbeiter*innen in medizinischen Datenintegrationszentren die Modellierung von Gesundheitsdaten mit openEHR verständlich und übersichtlich zu vermitteln. Ein erster Durchlauf fand im Wintersemester 2023/24 an der Medizinischen Hochschule Hannover und der Hochschule Hannover mit insgesamt 14 Teilnehmer*innen statt. Im Anschluss erweiterten die Wissenschaftler*innen die Inhalte um neue Lernvideos. Am zweiten Durchlauf, der im September 2024 gestartet ist, nahmen 20 Studierende der Hochschule Hannover teil. Der Kurs ist in fünf Blöcke unterteilt: „Einführung und Grundlagen“, „Was sind die Spezifika von openEHR?“, „Wie modelliert man in openEHR?“, „Wie kommen Daten ins openEHR-Repository und wieder heraus?“, „Was sind Beispiele der Nutzung von openEHR in der Praxis?“. Der Kurs wird 2025 evaluiert.
Den Wissenschaftler*innen ist die Evaluation ihrer Online-Kurse besonders wichtig, um die Kursinhalte an die Bedürfnisse der Zielgruppen anzupassen und ein gewinnbringendes Angebot für die Online-Lehre zu schaffen. Daher bitten sie die Teilnehmer*innen jedes durchgeführten Kurses um ihr Feedback. Im Forschungsjahr 2023 hatten sie das Evaluationskonzept, das vier Kriterien beinhaltet, geprüft. Das Ergebnis bestätigte, dass das Konzept gut geeignet ist, um konstruktives Feedback von den Teilnehmer*innen zu erhalten. Da die Wissenschaftler*innen sowohl die Kurse als auch den Evaluationsfragebogen stetig weiterentwickelten, ergab sich im Laufe des Projektes eine Fokusverschiebung innerhalb der Evaluation: Zunächst bezogen sich die Fragen auf die allgemeine Didaktik, inzwischen enthält der Fragebogen spezifischere Fragen zur Online-Lehre und zum didaktischen Konzept. So konzentrieren sich die Fragen nun mehr auf die Etivities, die als sehr wertvoll für den Online-Lernprozess bewertet wurden, und auf die digitalen Werkzeuge wie das Online-Forum, die Videos oder das Lernmanagementsystem ILIAS.
Für zukünftige Online-Kurse ist es sinnvoll zu prüfen, wie Teilnehmer*innen die Kurse perspektivisch durchführen wollen, ob z. B. vermehrt Tablets und Apps eingesetzt werden. Unsere ILIAS-Kurse funktionieren gut über Webbrowser, könnten aber in Zukunft für andere Nutzungsszenarien angepasst werden. Zudem wäre es sinnvoll, auch andere Lernmanagementsysteme in Betracht zu ziehen, für die es ebenfalls Apps gibt.
Kursinhalte nachhaltig verfügbar machen
Die Wissenschaftler*innen möchten die Online-Kurse über die Laufzeit des Zukunftslabors hinaus für Nutzer*innen aus dem Gesundheitswesen zur Verfügung stellen. Daher gründeten sie einen Arbeitskreis, der sich mit der Überführung der erstellten Kursinhalte in „Open Educational Resources“ (OER) beschäftigt. OER sind frei zugängliche Bildungsmaterialien, die kostenlos genutzt, bearbeitet und weiterverbreitet werden können. Sie umfassen vielfältige Medien – von Lehrplänen und Kursmaterialien bis hin zu Videos und Podcasts. OER fördern die Chancengleichheit im Bildungsbereich, sparen Zeit durch Wiederverwendbarkeit und ermöglichen globale Zusammenarbeit bei der Erstellung und Aktualisierung von Materialien.
Der OER-Arbeitskreis des Zukunftslabors Gesundheit hat mit der Prüfung begonnen, welche Kursinhalte (z. B. Videos, Quiz zur Lernzielkontrolle) sich als OER eignen. Parallel prüfen die beteiligten Wissenschaftler*innen Fragen des Urheberrechts der erstellten Inhalte, da diese für die Nutzung als OER mit einer passenden freien Lizenz versehen sein müssen. Im nächsten Schritt werden sie verschiedene Plattformen analysieren, die OER zur Verfügung stellen, um eine passende OER auszuwählen.