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Jetzt anmeldenDie Digitalisierung hat die Art und Weise, wie Menschen arbeiten, kommunizieren und wirtschaften, tiefgreifend verändert. Während digitale Technologien vielerorts Innovationen und Wachstum fördern, gibt es Regionen, die von diesen Entwicklungen nur eingeschränkt profitieren. Der Begriff „Digital Divide“ beschreibt diese Kluft: Unterschiede in der Verfügbarkeit digitaler Infrastruktur, in der digitalen Kompetenz der Bevölkerung und in der tatsächlichen Nutzung digitaler Angebote. Sie führen dazu, dass manche Regionen und Bevölkerungsgruppen schneller oder besser vorankommen als andere.
Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Gesellschaft & Arbeit erforschten, wie sich der digitale Wandel in sechs verschiedenen Regionen in Niedersachsen vollzieht und ob er zu einer Verstärkung des Digital Divide oder zu einer Angleichung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse in Stadt und Land führt. Zu den sechs Untersuchungsregionen zählten die Städte Osnabrück und Hannover sowie die vier ländlichen Regionen Emsland, Harburg, Hameln-Pyrmont und Lüchow-Dannenberg. Die Wissenschaftler*innen interviewten rund 100 kleine und mittlere Unternehmen (KMU) aus dem verarbeitenden Gewerbe (z. B. Maschinen- und Anlagenbau, Lebensmittelindustrie, Chemie- und Kunststoffindustrie) und aus dem Bereich wissensintensiver Unternehmensdienstleistungen (z. B. Ingenieurbüros, Werbeagenturen, Informationstechnologie).
Nutzung digitaler Schlüsseltechnologien
Die Interviews thematisierten verschiedene Aspekte der Digitalisierung im Unternehmenskontext. Dazu zählten der Einsatz und die Haltung des Unternehmens gegenüber digitalen Schlüsseltechnologien. Damit sind Technologien gemeint, die zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland beitragen, wie vor allem Künstliche Intelligenz (KI), Big-Data-Analysen und das Internet der Dinge (IoT). Die Auswertung dieses Themenkomplexes hatte bereits im Forschungsjahr 2023 stattgefunden. Kernergebnisse waren, dass vor allem KMU in größeren Universitätsstädten digitale Schlüsseltechnologien vermehrt einsetzen und aktiv deren Potenziale ermitteln. Dazu gehören bei den wissensintensiven Unternehmensdienstleitungen insbesondere KI- und Big-Data-Anwendungen. KMU in soziökonomisch stärkeren ländlichen Regionen setzen sich ebenfalls aktiv mit digitalen Technologien auseinander, nutzen sie aber weniger als KMU in den Städten. Hier zeigte sich, dass Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes vor allem an IoT-Anwendungen interessiert sind, weniger an KI und Big Data. Schließlich ging aus den Ergebnissen hervor, dass digitale Technologien in soziökonomisch schwächeren ländlichen Regionen kaum eine Rolle spielten.
Ausprägung und Erwerb digitaler Kompetenzen in niedersächsischen KMU
Ein weiterer Forschungsschwerpunkt galt der Frage, in welchem Maß digitale Kompetenzen in den KMU vorhanden sind und auf welche Weise sie neu erworben werden. Zudem untersuchten die Wissenschaftler*innen, inwiefern das räumliche Umfeld die Digitalisierung der KMU beeinflusst und welche Rolle externe Netzwerke und Kooperationspartner dabei spielen. Im Forschungsjahr 2024 werteten die Wissenschaftler*innen die Interviews hinsichtlich dieser Fragestellungen aus.
Aus den Gesprächen mit den KMU wurde deutlich, dass in vielen Unternehmen die Ressourcen und teilweise auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit fehlen, digitale Kompetenzen der Mitarbeitenden gezielt auszubilden bzw. weiterzuentwickeln. In den meisten Betrieben wenden Beschäftigte zwar digitale Technologien an, aber der Lernprozess vollzieht sich überwiegend unstrukturiert. Dabei kristallisierten sich drei Lernansätze heraus: Learning by Doing – also Lernen durch wiederholtes Ausprobieren – ist in den meisten KMU weit verbreitet. Learning bei Using – also Lernen durch die Anwendung bestimmter digitaler Technologien und die folgende Interaktion mit ihren Herstellern geschieht ebenfalls recht häufig (z. B. im Rahmen von Herstellerschulungen beim Einsatz neuer Produktionsanlagen). Diese beiden Lernformen finden vor allem auf der operativen Ebene bei den Mitarbeitenden statt. Die dritte Form, das Learning by Interacting, meint Lernprozesse im Austausch mit Geschäftspartnern oder externen Stakeholdern. Diese Lernform wird insbesondere auf der Management-Ebene genutzt.
KMU, welche die Digitalisierung in ihrer Unternehmensstrategie verankert haben und sie damit aktiv vorantreiben, fördern die Ausbildung digitaler Kompetenzen im Betrieb auch gezielt. Hier erfolgt das Lernen z. B. über strukturierte Lernpläne und gezielte Schulungen. Dabei ist unerheblich, in welcher Region sich die Betriebe befinden, entscheidend ist, wie relevant sie die Digitalisierung für den Erfolg ihres Unternehmens einschätzen.
Einfluss des räumlichen Umfeldes und unternehmensexterner Netzwerke
Wurde die Relevanz als hoch und damit die Digitalisierung als wichtig eingeschätzt, suchen die Unternehmen auch unternehmensextern nach Austausch- und Kooperationsmöglichkeiten. So hat die Geschäftsführung eines KMU aus dem Kreis Hameln-Pyrmont die Digitalisierung schon vor Jahren in den Unternehmenszielen verankert. Da vor Ort die Möglichkeit zum Austausch mit anderen Akteuren fehlte, schloss sich die Geschäftsführung in einer „Lernfabrik“ mit Unternehmen anderer Regionen zusammen. Das zweite Beispiel stammt aus dem Emsland: In dieser Region haben sich bereits viele KMU in diversen Netzwerken zusammengeschlossen und profitieren von einem offenen Austausch auch zu digitalisierungsbezogenen Thematiken. Diese Beispiele zeigen, dass das regionale Umfeld Einfluss auf die Unternehmen nimmt, die einen Lernbedarf identifiziert haben, und folglich auch die gewählten Lernstrategien beeinflusst. Da spielt es also eine Rolle, wo sich der Firmensitz befindet.
Teilnahme am regionalen Wissenstransfer – Beispiel Emsland
Die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors analysierten das Emsland als wirtschaftsstarke ländliche Region genauer. Hier stand die Frage im Mittelpunkt, warum und wie manche KMU am starken regionalen Wissenstransfersystem teilnehmen – und dadurch ihre Digitalisierungsbemühungen stärken – und andere KMU dies nicht tun. Nach den Ergebnissen hat Learning by Interacting eine zentrale Bedeutung: Die meisten Unternehmen bauen ihr Wissen über Digitalisierung durch Netzwerke wie den Wirtschaftsverband Emsland, die Ems-Achse oder die Wirtschaftsjunioren auf. Auffällig ist, dass dabei die Größe oder Branche des Unternehmens keine entscheidende Rolle spielt. Vielmehr fördern größere Netzwerke den Aufbau kleinerer, intensiverer Austauschformate, in denen spezifische Themen gezielt diskutiert werden.
Besonders wichtig für den Zugang zu diesen Netzwerken sind die bestehenden Kontakte und der Ruf eines Unternehmens in der Region. Zwar können grundsätzlich alle Unternehmen an den offenen, größeren Netzwerken teilnehmen, doch für intensivere, langfristige Kooperationen werden Partner gezielt ausgewählt. Dies zeigt sich insbesondere im verarbeitenden Gewerbe, wo Unternehmen durch gemeinsame Herausforderungen in Lagerhaltung, Produktion und Digitalisierung eng vernetzt sind. Eine Ausnahme bilden die wissensintensiven Unternehmensdienstleistungen. Diese Unternehmen sind weniger in die regionalen Netzwerke eingebunden, da sie oft über nationale oder internationale Austauschpartner verfügen. Auch sie betreiben das Netzwerklernen, allerdings nicht in dem Maße, wie es im Emsland für andere Branchen üblich ist. Zudem unterscheiden sich ihre Herausforderungen in der Digitalisierung von denen des verarbeitenden Gewerbes.
Es wurde deutlich, dass es große Unterschiede in der Nutzung digitaler Schlüsseltechnologien und beim Aufbau digitaler Kompetenzen in KMU zwischen den Regionen Niedersachsens gibt. Dabei scheint es keine klaren Unterschiede zwischen KMU in ländlichen und städtischen Regionen zu geben. Vielmehr gibt es auch innerhalb der Gruppe der ländlich geprägten Regionen große Unterschiede, wie die Unternehmen sich auf die Digitalisierung einstellen und wie stark die regionale Wirtschaft von der Digitalisierung profitieren wird bzw. von dieser vor Herausforderungen gestellt wird. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Digitalisierung zu einer Verschärfung der wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Regionen in Niedersachsen beiträgt – auch zwischen unterschiedlichen ländlichen Regionen.
Fazit und Handlungsempfehlungen an die Politik
Die Nutzung digitaler Schlüsseltechnologien sowie der Aufbau digitaler Kompetenzen ist in den untersuchten Regionen unterschiedlich ausgeprägt. Um den Digital Divide zwischen urbanen und ländlichen Regionen, aber auch zwischen unterschiedlichen ländlichen Regionen nicht zu verstärken, sprechen sich die Wissenschaftler*innen für politische Maßnahmen aus. Von diesen sollen möglichst viele Regionen profitieren und damit sowohl den Standort Niedersachsen fördern, als auch zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands beitragen.
Auf Basis der Potenziale und Herausforderungen der Untersuchungsregionen formulierten die Wissenschaftler*innen folgende Handlungsempfehlungen:
In urbanen Regionen haben sich KMU aus wissensintensiven Unternehmensdienstleistungen häufig bereits profundes Wissen zu KI und Big Data erarbeitet sowie Kooperationen mit Forschungseinrichtungen aufgebaut. Eine gezielte Innovationspolitik könnte diese Grundlage stärken. Zudem sollten bildungspolitische Maßnahmen dem Mangel an IT-Fachkräften begegnen, der häufig die größte Herausforderung für diese Unternehmen darstellt. Städtische KMU aus dem verarbeitenden Gewerbe haben wenig Zugang zu digitalen Schlüsseltechnologien. Zukünftige Förderpolitik sollte deren Integration in KI- und Big Data-Projekte etwa in Kooperation mit Hochschulen oder Unternehmen aus den wissensintensiven Dienstleistungen fördern.
Das Emsland ist eine sozioökonomisch starke, ländliche Region mit funktionierenden Netzwerken und innovativen KMU, die insbesondere von lokalen Austauschformaten profitieren. Politische Maßnahmen könnten die Stärken und Potenziale dieser Region gezielt fördern (hier: den Maschinen- und Fahrzeugbau), indem digitale Schlüsseltechnologien unterstützt und weiterentwickelt werden. Zur Unterstützung von KMU und der digitalen Transformation müssten zudem attraktive Bedingungen für Fachkräfte geschaffen werden, wie günstige Grundstückspreise und eine familienfreundliche Infrastruktur.
Der Landkreis Harburg ist sozioökonomisch stark, jedoch weniger ländlich geprägt als das Emsland, und verfügt über eine gut ausgebaute Infrastruktur . Dennoch herrscht unter den diversen KMU eher ein Konkurrenzdenken statt einer Kooperationskultur, was den Austausch und die Nutzung digitaler Technologien erschwert. Die Technologieverbreitung könnte hier durch die Etablierung interner und externer Austauschformate sowie durch den Aufbau einer Kooperationskultur gefördert werden. KMU aus wissensintensiven Unternehmensdienstleistungen im Landkreis Harburg könnten als Multiplikatoren fungieren und Impulse für den Einsatz digitaler Schlüsseltechnologien setzen.
Der Landkreis Hameln-Pyrmont ist im Vergleich zu anderen Regionen sozioökonomisch weniger stark. Dennoch gibt es einige größere KMU, die sich mit digitalen Schlüsseltechnologien beschäftigen, jedoch unter Fachkräftemangel leiden. Eine Lösung könnte darin bestehen, den Fokus auf digitale Kompetenzen in den dualen Studiengängen der Hochschule Weserbergland zu verstärken, um junge Fachkräfte direkt in die Unternehmen der Region zu integrieren.
Der Landkreis Lüchow-Dannenberg ist eine ländliche und sozioökonomisch schwache Region mit wenigen Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe und wissensintensiven Dienstleistungen. Die Digitalisierung spielt hier oft noch eine eher untergeordnete Rolle, und die Nutzung komplexer Technologien wie KI in einem relevanten Rahmen scheint aktuell außer Reichweite zu liegen. Es wird empfohlen, dass die Wirtschaftsförderung Verbindungen zwischen den ansässigen KMU und externen Einrichtungen fokussiert, um digitale Kompetenzen aufzubauen und später darauf aufbauend komplexe Technologien anzuwenden.