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Jetzt anmeldenDie zunehmende Digitalisierung und Vernetzung führt zu einem grundlegenden Wandel in der Landwirtschaft. Neue Datenquellen bergen großes Potenzial für die datengestützte Auswertung betriebswirtschaftlicher Faktoren sowie zur Umsetzung neuer Maßnahmen im Pflanzenanbau und im Tierwohl. Der Einsatz von Sensoren und Künstlicher Intelligenz (KI) ermöglicht die Erfassung und Analyse großer Datenmengen in Echtzeit. Gleichzeitig erfordert diese Entwicklung die Standardisierung von Datenformaten und Schnittstellen, um verschiedene Hard- und Softwareanwendungen kombinieren zu können. Die derzeitige Datenlandschaft ist fragmentiert und besteht häufig aus herstellergebundenen Ökosystemen. Datensysteme von Maschinenherstellern konzentrieren sich vor allem auf die Integration von Felddaten, Maschinendaten und die Dokumentation der Pflanzenpflege. Parallel dazu gibt es Datensysteme, die Betriebsführungsaufgaben wie Planung, Ressourcenmanagement, Verkauf, Zertifizierung und Steuerwesen unterstützen.
Eine Möglichkeit, um diesen Herausforderungen zu begegnen, sind Datenräume. Diese bieten offene, sichere und standardisierte Infrastrukturen für den Datenaustausch verschiedener Stakeholder. Sie fördern die Entwicklung eines einheitlichen digitalen Ökosystems, in dem Daten effizient und kontrolliert geteilt und genutzt werden können. Die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Agrar untersuchten das Potenzial von Datenräumen für die Landwirtschaft. Insbesondere betrachteten sie Gaia-X, die europäische Initiative zur Entwicklung einer souveränen und sicheren Dateninfrastruktur, und Best Practices wie AgriGaia, ein Projekt innerhalb des GAIA-X-Ökosystems, das speziell für die Landwirtschaft entwickelt wurde. Die Wissenschaftler*innen kamen zu dem Ergebnis, dass Datenräume wie Gaia-X und AgriGaia erheblich zur Interoperabilität und Datennutzung in der Landwirtschaft beitragen können.
In Gesprächen mit verschiedenen Stakeholdern hatten die Wissenschaftler*innen immer häufiger den Wunsch nach mehr Kompatibilität und Interoperabilität digitaler Lösungen wahrgenommen. Kompatibilität beschreibt die Fähigkeit von Systemen, Geräten oder Softwarekomponenten zur Zusammenarbeit, ohne dass größere Anpassungen notwendig sind. Dies bedeutet, dass die Zusammenarbeit der Systeme oder Komponenten auf Basis vordefinierter Schnittstellen und Formate funktioniert, aber möglicherweise sind nicht alle Funktionen integriert oder verstehen sich vollständig. Interoperabilität geht über reine Kompatibilität hinaus und beschreibt die Fähigkeit von Systemen, umfassend miteinander zu kommunizieren, Daten auszutauschen und sich vollständig zu verstehen. Dies setzt voraus, dass Systeme standardisierte Datenformate und semantische Bedeutungen teilen. Interoperabilität umfasst somit nicht nur die technische Verbindung, sondern auch die sinnvolle und kontextbasierte Dateninterpretation.
Workshop zu landwirtschaftlichen Datenräumen in der Praxis
Um die Ansprüche an ein ideales landwirtschaftliches Datenökosystem zu ermitteln, führten die Wissenschaftler*innen einen Workshop mit verschiedenen Stakeholdern durch. An dem Workshop nahmen insgesamt 26 Personen verschiedener Branchen teil, darunter Futtermittel- und Landmaschinenhersteller, Forschungseinrichtungen, Einrichtungen der beruflichen Bildung und staatliche Stellen. Die Teilnehmer*innen sammelten in zwei Arbeitsgruppen Lösungsansätze mithilfe von Kreativtechniken, u. a. der Rich-Picture-Methode. Diese wird dazu eingesetzt, komplexe, multidimensionale Herausforderungen hinsichtlich ihrer Wirkungszusammenhänge greifbar zu machen.
Die erste Arbeitsgruppe kam zu dem Ergebnis, dass die Arbeit von Landwirt*innen durch die Integration von Assistenzsystemen wie Apps und den einfachen Austausch von Daten erleichtert werden sollte. Derzeit benötigen Landwirt*innen oft mehrere Apps für unterschiedliche Maschinen (z. B. für den Melkroboter, den Futterroboter, den Schieberoboter und den Reinigungsroboter). Eine zentrale Datenintegration in einem Farm Management Information System (FMIS) oder einem Datenraum wäre wünschenswert. Offene Schnittstellen, klare Regeln und Standards könnten die Kompatibilität verbessern und Vertrauen schaffen. Mehr Benutzerfreundlichkeit, Verfügbarkeit und Datenvisualisierung würden die Akzeptanz erhöhen. Anreizsysteme mit einem konkreten Nutzen für Landwirt*innen könnten den Datenaustausch fördern.
Die zweite Arbeitsgruppe definierte die Ansprüche an einen idealen Agrardatenraum aus Sicht einer Persona, also einer fiktiven Person, deren Bedürfnisse stellvertretend für eine bestimmte Nutzergruppe stehen. Daraus ergab sich u. a. die Forderung nach einer fairen Transparenz entlang der gesamten Wertschöpfungskette, von den Produktionsbedingungen bis hin zu den Löhnen. Ebenso sollten die Auswirkungen des Klimawandels systematisch berücksichtigt werden, um ein nachhaltiges und gerechtes Datenökosystem zu schaffen.
Kompatibilität und Interoperabilität von Sensoren, Assistenzsystemen und Digitalisierungstools
Darüber hinaus analysierten die Wissenschaftler*innen den aktuellen Stand der Kompatibilität und Interoperabilität digitaler Systeme in der deutschen Landwirtschaft. Dafür untersuchten sie rund 100 Use Cases zu Sensoren, Assistenzsystemen und Digitalisierungsprojekten. Die Auswertung ergab, dass Interoperabilität bei nur ca. 20 Prozent der Anwendungsfälle berücksichtigt wird. Eine Analyse der Websites führender Melkroboter-Hersteller zeigte, dass für Interoperabilität auf technische Handbücher verwiesen wird und die Informationen sehr undurchsichtig sind. Hinsichtlich der Kompatibilität identifizierten die Wissenschaftler*innen den Data-Hub „Agate“ aus der Schweiz als Best Practice. Dabei handelt es sich um eine zentrale Datenplattform für die Landwirtschaft, die den Austausch und die Verwaltung von agrarwirtschaftlichen Daten erleichtert. „Agate“ dient als zentrales Portal, über das Landwirt*innen, Behörden und landwirtschaftliche Partner Informationen sicher und effizient teilen können. Die technische Umsetzung funktioniert hier sehr gut. Mittlerweile nutzen 200.000 Nutzer*innen das Portal, was von einer guten Akzeptanz zeugt. Eine wissenschaftliche Evaluation steht allerdings noch aus.
Fehlende Standards in der digitalen Landwirtschaft
Voraussetzung für Kompatibilität und Interoperabilität digitaler Systeme ist die Standardisierung technischer Konzepte. Derzeit fehlen geeignete Normen für den Austausch agrarwirtschaftlicher Daten. Die wenigen internationalen Standards werden noch nicht durchgängig verwendet. Die fehlende Standardisierung auf technischer und semantischer Ebene führt dazu, dass Daten im Austausch zwischen Systemen nicht korrekt interpretiert werden können. Gespräche mit Expert*innen aus der Landwirtschaft – darunter Informatiker*innen, Softwarearchitekt*innen, Technikhersteller*innen, Landmaschinenhersteller*innen, Vertreter*innen von Behörden sowie Wissenschaftler*innen aus anderen Projekten – führten zu weiteren Erkenntnissen. So stellten die Wissenschaftler*innen fest, dass die meisten dieser Stakeholder die Einführung verbindlicher Standards und Normen als problematisch ansehen, da dies Innovationen ausschließen könne. Außerdem sei es schwierig, sich auf einen Standard zu einigen, da es zu viele gebe. Zwei Ansichten kristallisierten sich heraus: Die einen befürworten sogenannte 1:1-Schnittstellen für verschiedene Software und Landmaschinen. Die anderen befürworten eine herstellerunabhängige Öffnung der Software für den Datenaustausch.
Mittlerweile gibt es durch die zahlreichen Maschinenhersteller, Softwarelösungen und Managementprogramme unterschiedlichste Datenformate und Plattformen, die die Fragmentierung der digitalen Datenlandschaft verstärken. Die Interoperabilität dieser Systeme ist zwingend erforderlich, um die Datensilos aufzubrechen und die Digitalisierung entlang der landwirtschaftlichen Wertschöpfungsnetze zu ermöglichen. Derzeit ist die Interoperabilität noch stark ausbaufähig. Offene Schnittstellen sind eher selten, Standardisierung gibt es nur für Landmaschinen und Datenräume werden kaum eingesetzt. Um eine durchgängige Digitalisierung voranzutreiben, sind diese Instrumente unerlässlich.
Digitales Monitoring in der Hühnermast
Eine weitere Untersuchung des Zukunftslabors Agrar beschäftigte sich mit Sensortechnologien für das Stallklima in der Hühnermast. Hierzu interviewten die Wissenschaftler*innen vier Landwirt*innen, die Hühnermast mit 30.000 und mehr Tieren betreiben und Sensorik sowie Kameras zum Monitoring der Tiere nutzen. In den Gesprächen berichteten die Landwirt*innen, dass die Sensoren zuverlässigere Daten als mechanische Messinstrumente liefern und Änderungen im Stallklima schnell und effizient erfassen. Dies nutzen die Landwirt*innen im Sinne eines Frühwarnsystems, um frühzeitig Maßnahmen zur Optimierung einzuleiten. Eine Idee wäre, die Daten zum Stallklima automatisch auszuwerten und die aufwendige manuelle Datenweiterleitung an Behörden zu vermeiden. Neben den genannten Vorteilen berichteten die Landwirt*innen aber auch von Nachteilen. So müsse die Sensorik häufig neu kalibriert werden, damit sie einwandfrei funktioniert. Zudem befürchteten sie starke Kontrollmöglichkeiten durch Behörden, wenn die Daten dauerhaft zu Verfügung gestellt würden. Die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Agrar wollen diese Wünsche und Bedenken in einem weiteren Workshop mit Landwirt*innen und Zuständigen aus Behörden diskutieren, um die Hoffnungen und Ängste der Landwirt*innen besser zu verstehen und den Dialog zwischen den Stakeholdern zu intensivieren.